Archiv für den Monat: Montag, der 28. Februar 2022

Nur ein Gepäckstück

von Klara Rosemann

Im Laufe meines langen Lebens bin ich oft verreist und habe viele Koffer gepackt.

Doch die stärksten Erinnerungen habe ich an jene Reise im August 1940, die mich mit meiner Familie von Bozen nach Österreich führte. Das geschah im Rahmen der Umsiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung aus Südtirol ins Deutsche Reich.

Familie_Rosemann1Meine Eltern waren damals 46 und 36 Jahre alt, mit drei Kindern im Alter von 9, 8 und 7 Jahren. Ich war die Jüngste in der Familie. So standen wir zu fünft am Bahnsteig in Bozen und warteten auf einen Zug, der uns in ein fremdes Land und in eine ungewisse Zukunft bringen sollte. Bei einem kurzen Aufenthalt in Brixen konnten wir uns noch von unseren Großeltern verabschieden, dann ging es weiter nach Innsbruck.

Da jeder Person nur ein Gepäckstück erlaubt war und die Koffer von uns Kindern entsprechend klein waren, reisten wir mit geringem Gepäck.

Für uns Kinder war die Reise ein großes Abenteuer. Frisch eingekleidet und neugierig auf alles Neue genossen wir die Fahrt. Mit wie vielen Zweifeln und Ängsten dagegen unsere Eltern diese Reise antraten, wurde uns erst viel später bewusst.

Unsere Reise war gut organisiert. In Innsbruck wurden wir bereits erwartet und unsere Eltern mussten entscheiden, wo wir zukünftig leben wollten. Unsere Großmutter hatte uns oft von der schönen Gegend am Bodensee erzählt. So fiel uns die Entscheidung nicht schwer, wir fuhren weiter nach Bregenz.

Familie_Rosemann2Nach kurzer Zeit wurde uns eine geräumige Wohnung mit Bad und Toilette zugewiesen, was damals einen ungewöhnlichen Luxus darstellte. Natürlich wurde das von Teilen der einheimischen Bevölkerung mit einem gewissen Misstrauen beobachtet, und so blieben «wir Südtiroler» anfangs in den eigens für uns erbauten Siedlungen unter uns.

Unser Vater fand trotz seines Alters schnell Arbeit und wir Kinder besuchten die Volksschule. Da wir aber in Südtirol nur in italienischer Sprache unterrichtet worden waren und zudem einen fremden Dialekt sprachen, dauerte es eine gewisse Zeit, bis wir uns eingelebt hatten.

Seither ist sehr viel Zeit vergangen. Wir Kinder haben hier eine Heimat gefunden und Wurzeln geschlagen.

Aber manchmal packen wir einen kleinen Urlaubskoffer und reisen für ein paar Tage zurück über den Brenner. Und erinnern uns an jene Reise im Jahre 1940, die unser Leben so grundlegend verändert hat.

Jede Woche eine neue Koffergeschichte!

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Eine Begleitaktion zur Sonderausstellung „Packen, tragen, rollen – Reisegepäck im Wandel der Zeit“ (2021-2022)

Ich bin kein Koffermensch, ich bin ein Rucksackmensch

von Anni Pixner Pertoll

„Wenn du vom Militärdienst frei gehst, dann machen wir zusammen eine Reise.“ Das sagte ich scherzhaft zu meinem, damals 19 Jahre alten Sohn, Much.
Etwa drei Monate später schwenkte er freudig den „Concedo“ und fragte: „Wohin geht die Reise?“

Wir entschieden uns für Island. Für ihn selbstverständlich mit Rucksack und Zelt. Ich dachte mir: “Na ja, wenn er mir das zutraut, warum nicht?“

Pixner_Pertoll_RucksackAlso erklärte mir Much, welche Beschaffenheit ein Rucksack haben muss und wie man den richtig trägt. Das war wichtig, denn in unsere Rucksäcke musste viel hinein.
Für unsere mehrwöchige Maiwanderung im hohen Norden kam einiges zusammen: Zelt, dicke Daunenschlafsäcke, Isomatten, Kochgeschirr, Gaskocher, Fertiggerichte und natürlich warme Kleidung. Der Wanderführer und das Tagebuch durften genauso wenig fehlen wie die Stirnlampe.

Wenn wir am Ende des Tages unsere Rucksäcke auspackten und das Nachtlager aufschlugen, besetzten wir mehrere Quadratmeter Fläche. Immer wieder war ich erstaunt, was wir alles mitschleppten, wieviel Platz in so einem Rucksack ist. Und zu meiner Überraschung gelang es jeden Morgen, alles wieder zu verstauen, was wir am Abend vorher ausgepackt hatten.

Drei Wochen waren wir unterwegs. Der Rucksack war zwar schwer, aber wir wurden von der mystischen Natur Islands und der dortigen Ruhe reich beschenkt. Es fehlte uns an nichts und es wurde eine meiner schönsten Reisen. Von da an war ich fast nur noch mit dem Rucksack unterwegs.

Mit meiner Rucksackbegeisterung steckte ich auch meinen Mann an. Fortan unternahmen wir zahlreiche Touren, manchmal mit und manchmal ohne Zelt.

Pixner_Pertoll_Rucksack_2Eine besondere Rucksackreise war der Jakobsweg nach Santiago de Compostela mit meiner Schwerster Rosi.

Diesen 800 km langen Pilgerweg wollte ich mit besonders leichtem Gepäck begehen.

Daher fing ich schon drei Wochen vor dem Start mit dem Rucksackpacken an.
Zuerst legte ich Dinge bereit, von denen ich annahm, ich würde sie unbedingt brauchen.
Die Folge: Der Rucksack war zu schwer.
Immer wieder reduzierte ich, jedes Mal mit dem Ergebnis: Noch zu schwer!
Ich begann, leichtere Kleidungsstücke auszuwählen.
So wiegt ein Kaschmirpullover um einiges weniger als ein Wollpullover.
Dann begutachtete ich die Toilettenutensilien und drückte die Tube der Zahnpaste bis auf ein Drittel aus, viertelte die Kernseife, tauschte die Sonnencreme mit einer Miniausgabe aus und ersetzte das dicke Handtuch mit einem kleinen aus Mikrofaser.
Nun passte es.
Mein Rucksack wog 7 kg. Das ideale Gewicht für meine Größe.

Auf dem gesamten Weg vermisste ich nichts. Ich hatte alles dabei, was ich brauchte.

Mein Rücken gewöhnte sich mit der Zeit so an den Rucksack, dass ich mir ohne fast nackt vorkam.

Pixner_Pertoll_Rucksack_3Unterwegs begegneten wir immer wieder Pilgern, die schwer zu schleppen hatten.
Nur ein 90jähriger, der von Paris nach Santiago pilgerte, war mit noch weniger Gepäck unterwegs. Er hatte kaum Wechselkleider, keinen Fotoapparat, kein Tagebuch und anstelle des Schlafsackes nur einen Hüttenschlafsack. So geht es auch.

Auf dem langen Weg lernten wir einige liebe Leute kennen. Man ging ein Stück zusammen, machte zusammen Rast, teilte den Proviant, kochte gemeinsam und tauschte Erfahrungen aus.

Meine Schwester und ich, wir waren immer langsam unterwegs, nach den Moto: „chi va piano va lontano.“ Unsere inzwischen liebgewordenen Pilgerfreunde legten den Weg nach ihrem Tempo zurück. Wenn sie aber an einer Raststätte Halt machten, stellten sie ihre  Rucksäcke, die wir inzwischen kannten, vor die Tür, um uns ihre Anwesenheit kundzutun.
Die Freude der Wiederbegegnung war immer groß.

Somit waren unsere Rucksäcke längst mehr als nur ein notwendiges Gepäckstück. Und so verspüre ich immer dann, wenn ich Menschen mit Rucksäcken begegne, eine Sehnsucht in mir, möchte sofort aufbrechen, irgendwohin, um offen zu sein, die Welt ein bisschen besser kennenzulernen. Und somit auch mich.

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Eine Begleitaktion zur Sonderausstellung „Packen, tragen, rollen – Reisegepäck im Wandel der Zeit“ (2021-2022)

Der Begleiter

von Helga Stockreiter

 

StockreiterStolz und glücklich hält deine Mutter dich im Arm,

ihr Töchterchen ist geboren!

Deine Eltern bringen dich nach Hause,

ich darf dich begleiten.

 

Jahre vergehen,

du fährst mit deinen Eltern ans Meer,

du fährst mit deinen Eltern in die Berge,

ich darf dich begleiten.

 

Jahre vergehen,

stolz zeigst du dein Maturazeugnis.

Du wirst studieren, in einer anderen Stadt,

ich darf dich begleiten.

 

Jahre vergehen,

vor deinem Namen steht jetzt ein „Dr.“,

an deiner Seite steht ein junger Mann.

Du folgst ihm in die grünen Wälder von Michigan,

ich darf dich begleiten.

 

Jahre vergehen,

du bist wieder allein.

Du kommst zurück in deine Heimat,

ich darf dich begleiten.

 

Jahre vergehen,

an deinem Bett steht ein Arzt.

Sanitäter bringen dich fort,Koffer_Stockreiter

ich darf dich nicht begleiten.

 

Dein Sohn lässt die Wohnung ausräumen.

Ich stehe in einem leeren Zimmer,

ich höre eine Stimme:

„schau, dort ist noch ein Koffer!“

 

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