von Anni Pixner Pertoll
„Wenn du vom Militärdienst frei gehst, dann machen wir zusammen eine Reise.“ Das sagte ich scherzhaft zu meinem, damals 19 Jahre alten Sohn, Much.
Etwa drei Monate später schwenkte er freudig den „Concedo“ und fragte: „Wohin geht die Reise?“
Wir entschieden uns für Island. Für ihn selbstverständlich mit Rucksack und Zelt. Ich dachte mir: “Na ja, wenn er mir das zutraut, warum nicht?“
Also erklärte mir Much, welche Beschaffenheit ein Rucksack haben muss und wie man den richtig trägt. Das war wichtig, denn in unsere Rucksäcke musste viel hinein.
Für unsere mehrwöchige Maiwanderung im hohen Norden kam einiges zusammen: Zelt, dicke Daunenschlafsäcke, Isomatten, Kochgeschirr, Gaskocher, Fertiggerichte und natürlich warme Kleidung. Der Wanderführer und das Tagebuch durften genauso wenig fehlen wie die Stirnlampe.
Wenn wir am Ende des Tages unsere Rucksäcke auspackten und das Nachtlager aufschlugen, besetzten wir mehrere Quadratmeter Fläche. Immer wieder war ich erstaunt, was wir alles mitschleppten, wieviel Platz in so einem Rucksack ist. Und zu meiner Überraschung gelang es jeden Morgen, alles wieder zu verstauen, was wir am Abend vorher ausgepackt hatten.
Drei Wochen waren wir unterwegs. Der Rucksack war zwar schwer, aber wir wurden von der mystischen Natur Islands und der dortigen Ruhe reich beschenkt. Es fehlte uns an nichts und es wurde eine meiner schönsten Reisen. Von da an war ich fast nur noch mit dem Rucksack unterwegs.
Mit meiner Rucksackbegeisterung steckte ich auch meinen Mann an. Fortan unternahmen wir zahlreiche Touren, manchmal mit und manchmal ohne Zelt.
Eine besondere Rucksackreise war der Jakobsweg nach Santiago de Compostela mit meiner Schwerster Rosi.
Diesen 800 km langen Pilgerweg wollte ich mit besonders leichtem Gepäck begehen.
Daher fing ich schon drei Wochen vor dem Start mit dem Rucksackpacken an.
Zuerst legte ich Dinge bereit, von denen ich annahm, ich würde sie unbedingt brauchen.
Die Folge: Der Rucksack war zu schwer.
Immer wieder reduzierte ich, jedes Mal mit dem Ergebnis: Noch zu schwer!
Ich begann, leichtere Kleidungsstücke auszuwählen.
So wiegt ein Kaschmirpullover um einiges weniger als ein Wollpullover.
Dann begutachtete ich die Toilettenutensilien und drückte die Tube der Zahnpaste bis auf ein Drittel aus, viertelte die Kernseife, tauschte die Sonnencreme mit einer Miniausgabe aus und ersetzte das dicke Handtuch mit einem kleinen aus Mikrofaser.
Nun passte es.
Mein Rucksack wog 7 kg. Das ideale Gewicht für meine Größe.
Auf dem gesamten Weg vermisste ich nichts. Ich hatte alles dabei, was ich brauchte.
Mein Rücken gewöhnte sich mit der Zeit so an den Rucksack, dass ich mir ohne fast nackt vorkam.
Unterwegs begegneten wir immer wieder Pilgern, die schwer zu schleppen hatten.
Nur ein 90jähriger, der von Paris nach Santiago pilgerte, war mit noch weniger Gepäck unterwegs. Er hatte kaum Wechselkleider, keinen Fotoapparat, kein Tagebuch und anstelle des Schlafsackes nur einen Hüttenschlafsack. So geht es auch.
Auf dem langen Weg lernten wir einige liebe Leute kennen. Man ging ein Stück zusammen, machte zusammen Rast, teilte den Proviant, kochte gemeinsam und tauschte Erfahrungen aus.
Meine Schwester und ich, wir waren immer langsam unterwegs, nach den Moto: „chi va piano va lontano.“ Unsere inzwischen liebgewordenen Pilgerfreunde legten den Weg nach ihrem Tempo zurück. Wenn sie aber an einer Raststätte Halt machten, stellten sie ihre Rucksäcke, die wir inzwischen kannten, vor die Tür, um uns ihre Anwesenheit kundzutun.
Die Freude der Wiederbegegnung war immer groß.
Somit waren unsere Rucksäcke längst mehr als nur ein notwendiges Gepäckstück. Und so verspüre ich immer dann, wenn ich Menschen mit Rucksäcken begegne, eine Sehnsucht in mir, möchte sofort aufbrechen, irgendwohin, um offen zu sein, die Welt ein bisschen besser kennenzulernen. Und somit auch mich.
Jede Woche eine neue Koffergeschichte!
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Eine Begleitaktion zur Sonderausstellung „Packen, tragen, rollen – Reisegepäck im Wandel der Zeit“ (2021-2022)