Archiv für den Monat: Dienstag, der 26. April 2022

Mrs. E. Scarpa

von Ursula Scarpa

4103651So steht es auf der Plakette der braunen Reisetasche. In Wirklichkeit hieß die Ehefrau von meinem Großvater Olga Kranz Scarpa. Das E steht für Emil.

Frauen hatten in der Geschichte bezüglich ihrer Ebenbürtigkeit Männern gegenüber stets einen schweren Stand. Als verheiratete Frau reiste man zu Beginn des 20. Jahrhunderts stets unter dem gesamten Namen des Ehegatten.

Emil Scarpa entstammte einer venezianischen Familie, die 1866 für die k. u. k. Monarchie Österreich-Ungarn optierte und aus Venedig abwanderte und ihren Wohnsitz nach Triest verlegte.

Er wurde Direktor der Österreichischen Dampfschifffahrtsgesellschaft Lloyd in Triest.

Emil_ScarpaBis zum Ende der Habsburger Monarchie galt Triest als Hafen von Wien und war Sitz des 1833 gegründeten Österreichischen Lloyd, der damals größten Dampfschifffahrtsgesellschaft im Mittelmeer. Die Eröffnung des Suezkanals im Jahr 1869 ermöglichte der Lloyd die Inbetriebnahme der Linie Triest-Bombay.

Mein Großvater reiste für die damaligen Verhältnisse bis ans andere Ende der Welt und hat in Bombay 18 Jahre lang für die Gesellschaft gearbeitet.

Als er ins heiratsfähige Alter kam, wollte er weder eine Inderin noch eine Engländerin zur Frau. Deshalb reiste er nach Graz zur Brautschau und nahm Olga Kranz zur Ehefrau. Sie entstammte einer wohlhabenden Familie aus Andritz bei Graz, die mehrere Kartonfabriken besaßen.

Sie sind dann als Ehepaar zurück nach Bombay, aber nicht für lange Zeit, denn die Ehefrau Olga vertrug das Klima in Bombay nicht besonders.

Im mondänen Meran fanden sie 1908 ein neues Zuhause. Sie haben so lange in Meran gelebt, bis Herr Scarpa schwer erkrankte und deshalb zur Behandlung nach Wien zog und dort auch verstarb. Er ist auch dort begraben.

Nun muss die weitgereiste Ledertasche nicht mehr auf meinem Dachboden ihr Dasein fristen und erfährt im Touriseum jede Menge Bewunderung und Aufmerksamkeit.

Jede Woche eine neue Koffergeschichte!

Hier geht’s zum Podcast.

Eine Begleitaktion zur Sonderausstellung „Packen, tragen, rollen – Reisegepäck im Wandel der Zeit“ (2021-2022)

 

Mein allererster Koffer, den ich eigentlich nicht wollte

vintage_koffer_blau

von Adi Thuile

Meine kleine Koffergeschichte liegt schon viele Jahre zurück und doch kommt es mir vor, als wäre sie erst vor kurzer Zeit gewesen.

Ich schreibe das Jahr 1966. Meine Eltern haben beschlossen, mich auf ein Internat zu schicken. Sie waren der Meinung, es sei das Beste für mich und ich hätte es zu respektieren. Mich zu rebellieren war nicht angebracht, es hätte an der Entscheidung nichts geändert.

Für die Einschulung in die Mittelschule wurde demnach alles rechtzeitig vorbereitet. Meine Mutter nähte auf alle meine Kleidungsstücke die Nr. 36 auf. Die Nummer war in der Farbe rot auf weißem, kleinen Stoffuntergrund, also nicht zu übersehen. Irgendwie fand ich das gar nicht toll, denn ich kannte ja meine Kleider auch ohne Nummer.

….und dann lag er da, auf meinem Bett, hellblau mit dunkelblauen Streifen, hinten und vorne im Karomuster in Stoff gedruckt.  Es war mein Koffer, daran gab es kein Zweifel, denn mein Name war in der braunen Lederlasche ganz deutlich ersichtlich. Ich öffnete ihn und fand alle meine persönlichen und nun nummerierten Sachen darin. Meine Freude konnte man mir nicht ansehen, denn ich empfand keine Freude, aber sehr wohl so eine Art von Wut.

Am darauffolgenden Morgen fuhren meine Eltern und ich und mein kleiner, blauer Koffer Richtung Brixen. Während der ganzen Fahrt hielt ich mich am Koffer fest, der den zweiten Platz hinten besetzte. Ich wagte es nicht irgendeine Bemerkung zu machen.

Bald darauf stand ich vor der großen Eingangstüre des Kassianeums und ich wurde freundlich empfangen. Aber sobald sich die Türe hinter mir schloß, fühlte ich mich gefangen. Ich, der immer so frei war und den ganzen Tag in der Natur verbrachte, musste von nun an folgsam sein und alle Regeln akzeptieren.

Es begann eine traurige Zeit mit vielen Tränen und starkem Heimweh. Nur einmal im Monat durfte mein kleiner, blauer Koffer und ich nach Hause fahren und das war eindeutig zu wenig für mich.

Und so packte ich jede Woche meinen kleinen Koffer und hoffte innigst, dass wir beide abgeholt werden. Aber dem war nicht so.

Mein kleiner Koffer und ich beschlossen demnach auf eine andere Art und Weise die Heimreise zu erzwingen. Wir waren uns einig, dass wir es gemeinsam schaffen würden … nach mehreren gescheiterten Versuchen und nach dem zweiten Aufenthaltsjahr im Internat war es endlich soweit … die große Eingangstüre öffnete sich und ein strahlender, aufgekratzter Lausbub verließ mit seinem kleinen Koffer für immer das Internat und hatte nie mehr eine Kleidung mit einer aufgenähten Nummer.

Jede Woche eine neue Koffergeschichte!

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Eine Begleitaktion zur Sonderausstellung „Packen, tragen, rollen – Reisegepäck im Wandel der Zeit“ (2021-2022)