von Hans Marini
Bin nur ein Koffer, wie Sie sehen. Das Menschliche, was sie jetzt betrachten, ist nur Phantasie.
Bin ein sehr, sehr alter Koffer, mit viel Vergangenheit und fraglicher Zukunft. Zurzeit bin ich in einem Museum ausgestellt. Auch dort kann man alt und älter werden, aber man sieht es einem nicht immer an. Naja, Museen sind für Frisches und Neues nicht immer geeignet.
Aber gehen wir der Reihe nach. Fast jedes Ding auf dieser Welt wird geschützt durch eine Hülle. Eine Schale, eine Haut, eine Rinde, einen Panzer und was es sonst so alles gibt. Ich war ursprünglich eine Haut und umhüllte ein Tier. Welches Tier will ich ihnen jetzt nicht verraten, um gewisse Vorurteile mir zu ersparen. Jedenfalls war es kein Dinosaurier, kein Krokodil, keine Schlange, keine Panzerechse und schon gar kein Igel. Das Tier, das ich umhüllte, starb irgendeinmal, wie müssen Sie nicht unbedingt wissen. Nur so viel, Tiere sterben selten im Altersheim. Ich als Tierhaut wurde vom Rest getrennt und kam, wenn ich mich recht erinnere in eine Gerberei. Und dort ging es dann so richtig los. Ich wurde gewaschen, gebürstet, geglättet, gewalzt, ins Wasser hinein und von dort wieder heraus. Ich musste vieles erleiden und es war überhaupt nicht lustig. Naja! Und irgendeinmal war ich trocken, weich, geschmeidig, bekam eine dunklere Färbung und roch nach Leder.
Ja und so kam ich alsbald in eine Koffer-Manufaktur-Werkstatt. Dort hat man mich sehr gut behandelt. Mit Gefühl wurde an mir herumgeschnitten, genäht, Teile wurden verstärkt, mit Messing-Scharnieren Deckelteil und Kofferraum verbunden. Der Kofferinnenraum wurde austapeziert mit einem seidenartigen Stoff. Am Koffergriff bekam ich ein Schloss samt Schlüssel. Mein Innenraum verlangte eben Diskretion. Ich war nun das, was ich nie geglaubt hätte zu werden. Ein wunderschöner eleganter Koffer. Vorbei die Zeiten als ich noch eine arme Haut war. Ja, und dann kam ich in ein Koffer- und Taschengeschäft. Zuerst auf ein Regal, doch bald in das Schaufenster. Und dort war ich, ohne eingebildet zu sein, ein richtiger Hingucker.
Eines Tages kam eine sehr gepflegte Dame in das Geschäft, zeigte mit ihrer gepflegten Hand auf mich und sagte mit wohlklingender Stimme: „Den möchte ich“. So kam ich in ein wunderbares Haus. Man legte mich auf einem kleinen Tisch im Schlafzimmer der Dame. Am nächsten Morgen wurde mein Deckel geöffnet und man fing an meinen Innenraum zu besetzen.
Ich merkte gleich, diese Dame versteht, wie man Koffer richtig packt. Das können die Wenigsten, meist wird alles nur so hineingeschmissen und der Deckel zugedrückt. Das war bei mir natürlich nicht der Fall. Die Wäsche roch so gut und war von erster Qualität. Für die Schuhe gab es eigene Schuhsäckchen. Ich hatte das Gefühl, mein Koffer-Innenraum war ausgefüllt mit Dingen, die nur eine wahre Dame mitnimmt, wenn sie auf Reisen geht. So nahm mich meine Herrin beim Koffergriff, wir verließen das Haus, stiegen in ein Taxi ein und fuhren zum Bahnhof. Ein Gepäcksträger trug mich in einen Waggon erster Klasse und legte mich behutsam ins Koffernetz oberhalb des Sitzes. Genau vis-a-vis von meinem Koffernetz hatte unser Waggon ein Fenster und dort konnte ich mich an der Landschaft, die an uns vorbeiglitt, erfreuen. Irgendeinmal hielt der Zug endgültig, ein Kofferträger nahm mich in Obhut und trug mich zum Taxi und nach ein paar Minuten hielten wir vor dem Grand Hotel Rapallo. Stellt euch vor, wir waren in Rapallo. Rapallo war damals die erste und beste Adresse der feinen Leute, die einen Strandurlaub verbringen wollten. Wir sind in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, da waren Urlaube am Meer ein bißl was anders als heute, vielleicht mit etwas mehr Poesie. Beim Abschied vom Hotel bekam ich noch ein sogenanntes „Pickerl“ auf meine Vorderseite und solche „Pickerl“* sollte ich noch einige bekommen im Laufe der vielen Reisen zusammen mit meiner Herrin: Cortina, Sankt Moritz, Cervinia, San Remo, Capri, Ischia, Monaco, Salzsburg, Wien, Paris, Venedig und Rom.
So konnte ich beweisen, mit meinem vollgeklebten Äußeren, wo ich überall war und das machte mich ungemein stolz. Ja, ja… Fast ganz Europa habe ich als Koffer bereist und durchlebt. Es war eine wunderbare „Koffer-Zeit“.
Ja und irgendeinmal, Ende der dreißiger Jahre, brach ein Krieg aus. Ich musste nicht einrücken, Koffer sind als Soldaten völlig untauglich. Aber auch dieses Malheur endete irgendeinmal. Doch die Zeit verging. Menschen werden alt und älter, manchmal vergreisen sie auch. Wir Koffer hingegen vergreisen nie, wir werden höchsten ein alter Koffer, mehr nicht. Meine Herrin packte ihre so gut riechende Wäsche in mir immer seltener ein. Die Reisen wurden immer kürzer, fremde Leute mussten mich nun tragen, weil ich meiner Herrin allmählich zu schwer wurde, wo ich einst so leicht war. Und wie es so ist in unserem Sein und Werden, irgendeinmal hörte alles auf, es ist vorbei, es war vorbei.
Ich war nur noch ein einsamer Koffer. Ich kam in eine Art Rumpelkammer und dort muss mich irgendjemand aufgrund meiner bunten „Pickerlen“ auf der sonst so intakten Kofferfläche entdeckt haben und brachte mich, ohne zu fragen, als Anschauungsobjekt in ein Museum, wo ich jetzt noch bin und stehe. Fast täglich spazieren Museumsbesucher an mir vorbei bleiben stehen und betrachten mich, wobei ich bis heute herumzweifle, schauen diese Leute meine bunten „Pickerlen“ an oder bewundern sie mich als Koffer. Dieser Zweifel wird mir wohl noch lange bleiben. Naja…. Was solls, ich war, ich bin und werde es wohl bleiben, nichts anderes als ein Koffer….
*Aufkleber
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Eine Begleitaktion zur Sonderausstellung „Packen, tragen, rollen – Reisegepäck im Wandel der Zeit“ (2021-2022)