Von Robert Asam
So etwas kann nur jemand behaupten, der noch nie als Gepäckstück durch die Welt geflogen wurde. Ich hasse Flugreisen! Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, aber masochistische Instinkte waren bei mir noch nie besonders ausgeprägt. Ich halte als Hartschalenkoffer einiges aus. Ich bin kein Weichei. Aber wer lässt sich schon gern andauernd durch die Gegend werfen. Das fängt schon damit an, dass mich mein Besitzer so schnell es geht meinem Schicksal überlässt. Dann stehe ich auf einem Laufband, das die blöde Angewohnheit hat, ruckartig anzufahren, und sofort um die Ecke zu biegen. Ich weiß, dass das kommt, aber ich kann nichts dagegen tun und falle auf die Schnauze. Schnauze ist vielleicht übertrieben, aber es haut mich mit voller Wucht zur Seite. Anschließend werde ich durch irgendwelche dunklen Schächte oder Rohre befördert, auf einen Transporter geworfen, um dann nach kurzer Zeit erneut auf einem Förderband zu landen. Andauernd packt mich irgendein grober Klotz und zerrt und reißt an mir herum. Dann verbringe ich Stunden in einem stockfinsteren Frachtraum, womöglich in Gesellschaft eines Rucksacks, der noch nie ein Stück Seife gesehen hat, muffigen Taschen und eingedrückten Pappkartons. Möchten Sie in solcher Gesellschaft reisen? Mit etwas Glück liege ich halbwegs bequem, aber häufiger ganz unten. Zum Glück habe ich eine harte Schale. Wenn es wieder hell wird und ich frische Luft bekomme, beginnt die ganze Prozedur von vorn, natürlich in umgekehrter Reihenfolge.
„Wer eine Reise tut, der kann was erzählen“, haben meine Vorfahren gesagt. Die hatten leicht reden, wurden sie doch von höflichen Dienstboten mit Samthandschuhen angefasst, vorsichtig dahin oder dorthin gestellt, auf ein Schiff getragen oder in ein nobles Hotelzimmer. Von einigen weiß ich, dass sie die gesamte Reise auf dem Auto festgeschnallt waren und den Fahrtwind und die Aussicht genießen konnten. Aussicht? Keine Ahnung, was das ist. Und herumgetragen hat mich auch noch niemand! Meistens werde ich gerollt, fast immer von gestressten Menschen, die sich nicht einmal die Mühe machen, mir das Treppensteigen zu ersparen. Bumm, zack, Bumm, zack! Und dann wundern sie sich, wenn meine Rollen das nicht aushalten. Als Koffer kannst du dich gegen solche Umgangsformen nicht wehren. Einmal habe ich mein Nummernschloss verstellt, ohne dass es mein Besitzer bemerkt hat. Daraufhin hat er mit einem Taschenmesser so lange an mir herumgestochert, bis ich nachgegeben habe. Und wissen Sie, was das Absurdeste an einer Flugreise ist? Niemand garantiert mir, dass ich am Ende dort ankomme, wo mein Besitzer auf mich wartet. Gerade drehe ich wieder unzählige Laufbandrunden in…, ja, wenn ich das wüsste. Jedenfalls ist niemand da, der mich abholt. Ganz unter uns, ein bisschen Schadenfreude verspüre ich jetzt schon, wenn ich daran denke, dass mein Besitzer ganz woanders auf mich wartet. Das hat er nun davon. Und ich? Ich habe auch nichts davon, denn bald kommt ein grober Heini, packt mich, wirft mich auf einen Gepäckwagen, und dann geht es mit dem nächsten Flieger wieder zurück. Drücken Sie mir die Daumen, dass der Zielort diesmal mit dem Reiseziel meines Besitzers deckungsgleich ist. Soll mir noch jemand sagen, nur fliegen ist schöner! Von wegen.
Jede Woche eine neue Koffergeschichte!
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Eine Begleitaktion zur Sonderausstellung „Packen, tragen, rollen – Reisegepäck im Wandel der Zeit“ (2021)