Ein Selbstportrait

Koffer_Reso

von Evelyn Reso

Alles, was mitmuss, liegt auf dem Bett ausgebreitet: Hosen, T-Shirts, Pullover, Toilettenzeugs, eine dünne Jacke, eine dicke Jacke und eine wasserfeste – sollte es entgegen aller Wetterprognosen doch zu sintflutartigen Regenfällen kommen. Alles wird gut sortiert verstaut, damit man es nachher schnell wiederfindet in den Untiefen des Koffers. Socken und Tempos stopfen die verbliebenen Löcher. In letzter Sekunde landen weitere überlebenswichtige Utensilien im Koffer: weitere Tempopäckchen, ein Taschenmesser, ein Feuerzeug – ich rauche nicht, aber es könnte ja nützlich sein.

Fertig.

Jetzt noch das Adressschild kontrollieren und den farbigen Anhänger dranmachen, zur Sicherheit auch noch einen Gepäckgürtel drum herum geschnallt. Zwei-, dreimal öffnet sich noch der Reisverschluss und die letzten unverzichtbaren Kleinigkeiten verschwinden im Spalt – nur für alle Fälle, man kann ja nie wissen. Jetzt noch den Verschluss ins Schloss stecken und die Nummern verdrehen – so verwirrend wie möglich, für ganz schlaue Gepäckdiebe. Dann doch nochmal aufmachen, falls der Code nicht stimmt – besser, ich finde das jetzt heraus als hinterher. Wieder schließen. Nein, am besten doch gleich offenlassen, es könnte ja sein, dass der Zoll im Reiseföhn etwas Verdächtiges vermutet und das Schloss aufbricht, dann ist der Koffer hin. So, jetzt aber ab auf die Waage. Der Koffer wiegt genau 12,5 Kilogramm, das macht 2,5 Kilogramm Spielraum für Mitbringsel, perfekt.

Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich, als der Koffer über die Gepäckschiene fährt und hinter der freundlichen Flugbegleiterin durch die Luke verschwindet. Meine Hände sind leer, der Körper so leicht. Durch das kleine Fenster im Passagierraum beobachte ich den Gepäckzug, der gerade unter dem Flugzeugflügel hält. Ist mein Koffer dabei? Was, wenn nicht?

Nervöses Gedrängel am Gepäcktransportband. Koffer für Koffer wird vom Band gehievt und mitgenommen. Nach einigen Runden Leerlauf, hält das Gepäckband an. Das war’s, da kommt nichts mehr. Panik kriecht in mir hoch. Was mache ich jetzt nur? Mit einem Ruck läuft das Gepäckband wieder an. Ein Koffer purzelt durch die Luke, ein zweiter und dann endlich einer mit dem vertrauten Anhänger, dem Gürtel, mein Koffer, er kommt! Schnell fische ich ihn herunter und umklammere seinen Griff. So als wäre ich ohne ihn verloren. So als wäre ich mit ihm gerüstet für all das, was kommt. So als könnte mir mit meinem Koffer nichts geschehen.

Jede Woche eine neue Koffergeschichte!

Hier geht’s zum Podcast.

Eine Begleitaktion zur Sonderausstellung „Packen, tragen, rollen – Reisegepäck im Wandel der Zeit“ (2021-2022)

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