von Marlene Lobis
Diese Reise ist meine erste große Backpacking-Reise, mein „Pukkanakka-Projekt“: Pukkanakka bedeutet im Südtiroler Dialekt etwas Schultern, am Rücken tragen – wie eben den Rucksack. Als ich meinen Rucksack gepackt habe, lautete die Devise, nur das Nötigste mitzunehmen. Für mich als Backpacking-Anfängerin war es ein kompliziertes Unterfangen, meinen Rucksack für eine mehrmonatige Reise zu packen. Ich habe unzählige Pack-Listen von erfahrenen Weltreisenden verglichen und mich strikt daran gehalten. Einige Dinge hat mittlerweile der Wäscheservice geschluckt, einiges hätte ich daheimlassen können, aber prinzipiell bin ich mit dem Inhalt meines Rucksacks zufrieden.
Doch nicht für alles gibt es Checklisten. Neben den fast 15 Kilo, die ich in meinen Rucksack gepackt habe, schleppe ich auch meinen unsichtbaren Rucksack mit: Meine Träume und Wünsche, meine Vorstellungen und Erwartungen, meine Leidenschaften und Laster. Wer ich war, wer ich bin und wer ich sein will. Ich bin überzeugt, dass man auf Reisen viel lernen kann. Nicht nur über andere Menschen, Kulturen, Länder, auch über sich selbst. Alle paar Tage an einem anderen Ort zu sein, das heißt auch: Ich kann viele verschiedene Versionen von mir zeigen. Außerdem habe ich jede Menge Zeit, um über das Leben im Allgemeinen und mich selbst im Speziellen nachzudenken. Besonders auf all den langen Busfahrten.
Nein, ich bin auf keinem Selbstfindungstrip. Jedoch weiß jeder, der ab und zu allein reist: Das ist gut für ein gewisses Maß an Psychohygiene. Ich mag das. Aber ganz ehrlich: Ich bin ziemlich schockiert darüber, dass ich meinen inneren Unruhehund auf diese Reise mitgebracht habe. Der stand auf keiner Liste. Hand aufs Herz, wir kennen sie doch alle, diese inneren Dämonen: das Engelchen und das Teufelchen, den Faulpelz, das verängstigte Häschen, den inneren Schweinehund … Während meiner Reise taucht allerdings immer wieder dieses neue Gefühl auf: Ich nenne es „meinen inneren Unruhehund“. Und der hüpft wild herum, will alles sehen, erleben, Sachen machen. Dabei will ich absolut keine „Been there, done that“-Touristin sein, alles schnell abklappern, damit ich es von meiner „Bucket List“ abhaken kann.
Doch wenn im Hostel ein anderer Backpacker fragt: „Warst du denn schon in …“, dann fängt der innere Unruhehund an, fröhlich mit dem Schwanz zu wedeln, beim Kommentar: „Das ist voll die krasse Erfahrung“ oder „ein MUST SEE“ springt er aufgeregt in die Luft und schlägt Purzelbäume, will am liebsten sofort losstarten.
Diese Reise soll eine Auszeit sein, die nur mir gehört. Ich habe lange davon geträumt und kein Rückflugticket gebucht. Im Grunde habe ich alle Zeit der Welt. Ich könnte mich einfach in die Hängematte legen und drei Tage lang schlafen, wenn mir danach ist. Das sage ich mir immer wieder. Doch da ist eben dieser unsichtbare, hyperaktive Köter. Ich bin im Urlaub – und gestresst.
Es gibt ihn, den Reise-Burnout. Dahin will ich nicht, eh klar. Nur frage ich mich: Wie überwinde ich meinen inneren Unruhehund? Yoga? Ein Besuch beim Schamanen? Mein unsichtbarer Rucksack wiegt mehr, als ich dachte. Und ich bin erstaunt, dass ich dieses Stressvieh nicht in die Ecke schicken kann, zum „Platz“ machen. Vielleicht war dieses innere Hündchen schon vor der Reise da, aber blieb brav in seinem Körbchen. Oder ich hatte einfach in der Arbeit so viel zu tun, dass es immer zufrieden war? Jetzt, auf dieser Reise, habe ich diese Unruhe erstmals so richtig gefühlt. Und es kostet mich viel Kraft, damit umzugehen. Sobald ich mich auf die Couch lege oder in ein Café setze und mir vornehme, mal nichts zu tun (und auch nichts zu planen!), pieselt mir mein innerer Unruhehund ans Bein. Er will Gassi gehen, was erleben. Und was mache ich? Ich hole die Leine und wir gehen los.
Marlene Lobis (Textauszug aus einer Kolumne, entstanden während einer 9-monatigen Rucksackreise durch Südamerika im Jahr 2016)
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Eine Begleitaktion zur Sonderausstellung „Packen, tragen, rollen – Reisegepäck im Wandel der Zeit“ (2021)