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Ich habe einen Koffer

Fabiano_Bressan_New_York

Foto: © Fabiano Bressan

von Bettina Conci

Ich habe einen Koffer. Er ist aus Hartplastik, leuchtend rot und hat Rollen. Ein bisschen alt ist er schon, und genau genommen ist es auch nicht mein Koffer, denn ich habe ihn geschenkt bekommen. Es ist ein guter Koffer, wurde mir gesagt, mit ein paar Gebrauchsspuren, aber noch intakt und brauchbar.

Der rote Plastikkoffer war bereits in Sri Lanka und auf ein paar griechischen Inseln gewesen, bevor er in meinen Besitz gelangte. Er hatte meine Eltern auf ihrer Hochzeitsreise begleitet und problemlos in jedes Auto gepasst. Auch war er überraschend leicht.

Unmittelbar, nachdem ich ihn bekommen habe, habe ich den Koffer weiterverliehen.

Der Amerikaner war eine Erasmusbekanntschaft. Wir hatten uns in Madrid kennengelernt und ineinander verguckt, bevor wir weiterzogen. Er nach Südkorea, um Englisch zu unterrichten, und ich zurück nach Hause, um mein Studium zu beenden. Der Kontakt blieb aufrecht, und so kam es, dass er mich einige Jahre später besuchen kam, mit nichts als einem Karton mit seinen wichtigsten Habseligkeiten im Gepäck und dem schalen Geschmack einer vergangenen Liebe behaftet. Die Erwartung hielt der Wirklichkeit nicht stand und ich es nur drei Tage mit ihm aus. Der schäbige Karton mit seinen Sachen zerfiel vor unseren Augen wie das Bild, das wir voneinander gehabt hatten.

Am Bahnsteig wartete ich ungeduldig, bis der Zug Richtung Mailand Malpensa um die Ecke gebogen und der rote Koffer nicht mehr zu sehen war. Dann atmete ich auf.

Ich habe einen Koffer. Er ist aus Hartplastik, leuchtend rot und hat Rollen. Darin liegen einige alte, löchrige T-Shirts und ein Paar elegante Schuhe, ein Stapel Englischbücher und ein Rasierapparat. Und ein paar verstaubte Erinnerungen.

Ich habe einen Koffer. Er steht jetzt in New York.

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Eine Begleitaktion zur Sonderausstellung „Packen, tragen, rollen – Reisegepäck im Wandel der Zeit“ (2021)

Nur Fliegen ist schöner

Robert Asam

Von Robert Asam

So etwas kann nur jemand behaupten, der noch nie als Gepäckstück durch die Welt geflogen wurde. Ich hasse Flugreisen! Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, aber masochistische Instinkte waren bei mir noch nie besonders ausgeprägt. Ich halte als Hartschalenkoffer einiges aus. Ich bin kein Weichei. Aber wer lässt sich schon gern andauernd durch die Gegend werfen. Das fängt schon damit an, dass mich mein Besitzer so schnell es geht meinem Schicksal überlässt. Dann stehe ich auf einem Laufband, das die blöde Angewohnheit hat, ruckartig anzufahren, und sofort um die Ecke zu biegen. Ich weiß, dass das kommt, aber ich kann nichts dagegen tun und falle auf die Schnauze. Schnauze ist vielleicht übertrieben, aber es haut mich mit voller Wucht zur Seite. Anschließend werde ich durch irgendwelche dunklen Schächte oder Rohre befördert, auf einen Transporter geworfen, um dann nach kurzer Zeit erneut auf einem Förderband zu landen. Andauernd packt mich irgendein grober Klotz und zerrt und reißt an mir herum. Dann verbringe ich Stunden in einem stockfinsteren Frachtraum, womöglich in Gesellschaft eines Rucksacks, der noch nie ein Stück Seife gesehen hat, muffigen Taschen und eingedrückten Pappkartons. Möchten Sie in solcher Gesellschaft reisen? Mit etwas Glück liege ich halbwegs bequem, aber häufiger ganz unten. Zum Glück habe ich eine harte Schale. Wenn es wieder hell wird und ich frische Luft bekomme, beginnt die ganze Prozedur von vorn, natürlich in umgekehrter Reihenfolge.Robert Asam Koffer„Wer eine Reise tut, der kann was erzählen“, haben meine Vorfahren gesagt. Die hatten leicht reden, wurden sie doch von höflichen Dienstboten mit Samthandschuhen angefasst, vorsichtig dahin oder dorthin gestellt, auf ein Schiff getragen oder in ein nobles Hotelzimmer. Von einigen weiß ich, dass sie die gesamte Reise auf dem Auto festgeschnallt waren und den Fahrtwind und die Aussicht genießen konnten. Aussicht? Keine Ahnung, was das ist. Und herumgetragen hat mich auch noch niemand! Meistens werde ich gerollt, fast immer von gestressten Menschen, die sich nicht einmal die Mühe machen, mir das Treppensteigen zu ersparen. Bumm, zack, Bumm, zack! Und dann wundern sie sich, wenn meine Rollen das nicht aushalten. Als Koffer kannst du dich gegen solche Umgangsformen nicht wehren. Einmal habe ich mein Nummernschloss verstellt, ohne dass es mein Besitzer bemerkt hat. Daraufhin hat er mit einem Taschenmesser so lange an mir herumgestochert, bis ich nachgegeben habe. Und wissen Sie, was das Absurdeste an einer Flugreise ist? Niemand garantiert mir, dass ich am Ende dort ankomme, wo mein Besitzer auf mich wartet. Gerade drehe ich wieder unzählige Laufbandrunden in…, ja, wenn ich das wüsste. Jedenfalls ist niemand da, der mich abholt. Ganz unter uns, ein bisschen Schadenfreude verspüre ich jetzt schon, wenn ich daran denke, dass mein Besitzer ganz woanders auf mich wartet. Das hat er nun davon. Und ich? Ich habe auch nichts davon, denn bald kommt ein grober Heini, packt mich, wirft mich auf einen Gepäckwagen, und dann geht es mit dem nächsten Flieger wieder zurück. Drücken Sie mir die Daumen, dass der Zielort diesmal mit dem Reiseziel meines Besitzers deckungsgleich ist. Soll mir noch jemand sagen, nur fliegen ist schöner! Von wegen.

 

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Ich packe meinen Rucksack und nehme mit…

Marlene_Lobis

von Marlene Lobis

Diese Reise ist meine erste große Backpacking-Reise, mein „Pukkanakka-Projekt“: Pukkanakka bedeutet im Südtiroler Dialekt etwas Schultern, am Rücken tragen – wie eben den Rucksack. Als ich meinen Rucksack gepackt habe, lautete die Devise, nur das Nötigste mitzunehmen. Für mich als Backpacking-Anfängerin war es ein kompliziertes Unterfangen, meinen Rucksack für eine mehrmonatige Reise zu packen. Ich habe unzählige Pack-Listen von erfahrenen Weltreisenden verglichen und mich strikt daran gehalten. Einige Dinge hat mittlerweile der Wäscheservice geschluckt, einiges hätte ich daheimlassen können, aber prinzipiell bin ich mit dem Inhalt meines Rucksacks zufrieden.

Doch nicht für alles gibt es Checklisten. Neben den fast 15 Kilo, die ich in meinen Rucksack gepackt habe, schleppe ich auch meinen unsichtbaren Rucksack mit: Meine Träume und Wünsche, meine Vorstellungen und Erwartungen, meine Leidenschaften und Laster. Wer ich war, wer ich bin und wer ich sein will. Ich bin überzeugt, dass man auf Reisen viel lernen kann. Nicht nur über andere Menschen, Kulturen, Länder, auch über sich selbst. Alle paar Tage an einem anderen Ort zu sein, das heißt auch: Ich kann viele verschiedene Versionen von mir zeigen. Außerdem habe ich jede Menge Zeit, um über das Leben im Allgemeinen und mich selbst im Speziellen nachzudenken. Besonders auf all den langen Busfahrten.

Nein, ich bin auf keinem Selbstfindungstrip. Jedoch weiß jeder, der ab und zu allein reist: Das ist gut für ein gewisses Maß an Psychohygiene. Ich mag das. Aber ganz ehrlich: Ich bin ziemlich schockiert darüber, dass ich meinen inneren Unruhehund auf diese Reise mitgebracht habe. Der stand auf keiner Liste. Hand aufs Herz, wir kennen sie doch alle, diese inneren Dämonen: das Engelchen und das Teufelchen, den Faulpelz, das verängstigte Häschen, den inneren Schweinehund … Während meiner Reise taucht allerdings immer wieder dieses neue Gefühl auf: Ich nenne es „meinen inneren Unruhehund“. Und der hüpft wild herum, will alles sehen, erleben, Sachen machen. Dabei will ich absolut keine „Been there, done that“-Touristin sein, alles schnell abklappern, damit ich es von meiner „Bucket List“ abhaken kann.

Doch wenn im Hostel ein anderer Backpacker fragt: „Warst du denn schon in …“, dann fängt der innere Unruhehund an, fröhlich mit dem Schwanz zu wedeln, beim Kommentar: „Das ist voll die krasse Erfahrung“ oder „ein MUST SEE“ springt er aufgeregt in die Luft und schlägt Purzelbäume, will am liebsten sofort losstarten.

Diese Reise soll eine Auszeit sein, die nur mir gehört. Ich habe lange davon geträumt und kein Rückflugticket gebucht. Im Grunde habe ich alle Zeit der Welt. Ich könnte mich einfach in die Hängematte legen und drei Tage lang schlafen, wenn mir danach ist. Das sage ich mir immer wieder. Doch da ist eben dieser unsichtbare, hyperaktive Köter. Ich bin im Urlaub – und gestresst.

Es gibt ihn, den Reise-Burnout. Dahin will ich nicht, eh klar. Nur frage ich mich: Wie überwinde ich meinen inneren Unruhehund? Yoga? Ein Besuch beim Schamanen? Mein unsichtbarer Rucksack wiegt mehr, als ich dachte. Und ich bin erstaunt, dass ich dieses Stressvieh nicht in die Ecke schicken kann, zum „Platz“ machen. Vielleicht war dieses innere Hündchen schon vor der Reise da, aber blieb brav in seinem Körbchen. Oder ich hatte einfach in der Arbeit so viel zu tun, dass es immer zufrieden war? Jetzt, auf dieser Reise, habe ich diese Unruhe erstmals so richtig gefühlt. Und es kostet mich viel Kraft, damit umzugehen. Sobald ich mich auf die Couch lege oder in ein Café setze und mir vornehme, mal nichts zu tun (und auch nichts zu planen!), pieselt mir mein innerer Unruhehund ans Bein. Er will Gassi gehen, was erleben. Und was mache ich? Ich hole die Leine und wir gehen los.

Marlene Lobis (Textauszug aus einer Kolumne, entstanden während einer 9-monatigen Rucksackreise durch Südamerika im Jahr 2016)

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