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Koffer, Koffer und Sommerfrische Gefühle

von Himi Burmeister

BurmeisterWelchen Koffer würde ich präsentieren? Wirklich wahr: Ich hatte zeitlebens einen leicht größeren Kinderkoffer voller Hotel-Nostalgie-Etiketten auf meinen Reisen nach Prag, Leningrad, Titograd, Belgrad, Stockholm, Lyon oder Verona dabei.

Es passten hinein: Kamm, Zahnpaste, Tagebuch, Schreibstifte, Zahnbürste, ganz, ganz wenig Leibwäsche und jeweils der altmodischste Baedeker – sogar von K&K Österreich!

In Budapest hießen die Prachtstraßen „Kaiser Franz Joseph Boulevard“, als ich aber ankam: „Lenin Korut“ oder so. Heute heißen sie wieder wie im Baedeker um 1900 erwähnt.

Burmeister2In Straßburg schreiben die französischen Elsässer eines Tages neben die französischen Namen wieder die althergebrachten Elsässischen.

Koffer? Meine so leer wie möglich; aber um Fetische der Orte zurück zu schleppen: Aus Prag die überall noch vorhandenen deutschsprachigen Heiligen Bücher.

Aus Rom oder Kreta: Stuck-Reste mit antikem Farbrest; Münzen, mitten auf Athens Agora – touristisch total frequentiert, doch mit Argus Augen an grün kupferoxydisch verfärbten Boden aufgespürt.

Ich hätte eigentlich für meine Sammelmanie und Rettung alter Dinge die Kleiderschrankkoffer und Holztruhenkoffer und Übersee-Großkoffer aus den Amerika Umzügen meiner Familie, die im Bregenzer Dachboden gestapelt waren, nötig gehabt!

Ich übertreibe nicht: Als ich von Florenz nach Vorarlberg zog, war ein Sattelschlepper mit Anhänger notwendig, um meine Schätze, Poesie aus alten Zeiten ins Bregenzer Domizil zu bugsieren.

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Eine Begleitaktion zur Sonderausstellung „Packen, tragen, rollen – Reisegepäck im Wandel der Zeit“ (2021-2022)

Keine Reise ohne meinen braunen Koffer

Koffer_Plunger

von Christa Plunger

Der Urlaub in Rimini ist gebucht. Ich habe meinen alten braunen Koffer schon hergerichtet. Es schaut so aus als würde er darauf warten vollgepackt zu werden. Der Koffer hat schon viele Reisen hinter sich. Es muss alles systematisch hergerichtet werden, dass alles Platz hat. Insgesamt sind wir drei Leute – 2 Kinder und ich als Mama. Jedes Kind darf noch einen Rucksack mitnehmen mit Spielsachen, die sie auch selber tragen müssen. Was nicht fehlen darf ist Proviant, etwas zum Essen und Trinken, für jeden gleich viel sonst ist Streit vorprogrammiert.

Die Reise ist für die Kinder immer aufregend, die Nacht vorher wird auch nicht mehr geschlafen.

Am Bahnhof in Burgstall warten wir auf den Zug. Als er endlich in den Bahnhof einfährt und wir einsteigen können. Wir müssen lange suchen, um einen Platz zu bekommen. Voller Freude setzen wir uns und endlich starten wir.

Nach einer Weile kommt der Schaffner, um nach den Tickets zu fragen. Er stellt fest, dass wir im falschen Abteil sitzen. 1. Klasse, unsere Tickets sind für die 2. Klasse. Also alles zusammenpacken und ein anderes Abteil suchen. Endlich eines gefunden, wir ergattern sogar einen Sitzplatz am Fenster. Nach einer Weile zähle ich unsere Taschen und ich bemerke, dass der große braune Koffer fehlt. Ich springe auf und suche das ganze Abteil ab, finde nichts. Ich sage zu meinem Sohn Gerold, er soll schnell dorthin laufen, wo wir zuerst waren, dort muss der Koffer sein. Gerold ist lange aus, wir machen uns schon Sorgen. Als er zurückkommt, ist er in Tränen aufgelöst, er hat den Koffer nicht gefunden. So musste ich los, habe zu Gerold und Sylke gesagt, sie sollen im Abteil bleiben und auf mich warten. Ich lief los, mir kam es eine Ewigkeit vor bis ich endlich beim Abteil ankam, wo wir zuerst waren. Ich fragte einen Herrn, ob er einen braunen Koffer gesehen hätte, er sagte nein. So habe ich nochmal genau nachgeschaut und zum Glück habe ich ihn gefunden, er war ganz oben in der Ecke. Als ich wieder zurückkam waren wir alle froh und haben den Koffer nicht mehr aus den Augen gelassen. Wir haben nicht nur einmal geträumt, dass wir ihn wieder verlieren. Immer wenn wir diesen Koffer holen, fällt uns dieses Erlebnis ein und wir müssen lachen, was war das für eine Aufregung. Dieser Koffer ist seitdem etwas Besonderes, ist bei Reisen nicht mehr wegzudenken, ist unser Talisman geworden. Noch heute träume ich davon, dass ich den Koffer suche.

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L’enfant terrible on voyage

von Ruth Engl

 

Der alte braune Lederkoffer, diese alte Lederhaut, den ich ständig auf den Weg in den Keller begegne, sieht mich vorwurfsvoll an. Hier muss er nun sein Dauerdasein fristen, anstatt mit mir aufregende Zeiten zu verbringen. Wie gerne würde er so manches neue Abenteuer erleben, so wie damals. Wenn ich daran zurückdenke, beginne ich zu Schmunzeln. Ich war immer schon gerne mutig und unangepasst, meine Eltern mussten viel mit mir aushalten.

 

Meine damalige Freundin Hannelore und ich, beide 16 Jahre jung, reisten ohne Zustimmung und Wissen unserer Eltern nach Frankreich. Als Vorwand gab ich einen Sommerurlaub in Riccione an, wo meine Freundin gerade ihren Sommerjob in einem Hotel beendete und sie hingegen, war nach offizieller Version bei uns in der Sommerfrische auf den Ritten zu Gast. Der Plan war genial. Mit dem Zug ging‘s nach Riccione, schnell wurde eine Postkarte mit Urlaubsgrüßen nach Hause geschrieben. Stichfestes Alibi im petto.

Unser gewagtes Vorhaben nahm seinen Lauf, beide hatten wir keine Ahnung von Reisen, von Kofferpacken noch viel weniger. So verstaute ich meine sämtliche Garderobe darin und der Koffer platzte fast aus allen Nähten. Mein Koffer war zu schwer und wirkte wie Blei an meinem Arm, doch dass nahm ich gerne auf mich.

Dementsprechend unvorbereitet verlief unsere Grand Tour. Angst vor dem Ungewissen hatten wir nicht, im Gegenteil, wir sprühten nur so vor Neugierde nach der großen weiten Welt. So gelangten wir auch in sehr brenzlige Situationen, als wir blauäugig mit Autostopp von Riccione nach Genua reisten. Urplötzlich waren wir selbst für unser Leben verantwortlich.

Die aufregende Odyssee führte uns entlang der Cote Azure mit erstem Reisestopp in Monaco, wo wir mit fester Absicht ins Spielcasino wollten. Kategorisch und mit einer gewissen Härte wurde uns der Zutritt verwehrt. Schließlich waren wir beide ja noch minderjährig. Übernachtet haben wir fast immer in den „Auberge‘s de Jeunesse“, aber manchmal auch unter freiem Himmel, da uns die Hausordnung der Jugendherbergen zu streng war. Weiter gings über das mondäne Nizza nach Cannes, ohne es dabei zu versäumen über den roten Teppich zu flanieren und inständig zu hoffen, man möge unser Talent entdecken und wir würden als Filmstars zurückkehren. Anschließend noch mit dem Nachtzug nach Paris, und zwar mit dem wichtigsten Grund, endlich bei McDonald einen Burger zu essen. Nebenbei haben wir selbstverständlich alle Sehenswürdigkeiten der Stadt besichtigt. Wir hatten das große Glück einen Studenten aus wohlhabendem Hause aus den Arabischen Emiraten kennenzulernen, der uns im Porsche das schillernde Paris bei Nacht zeigte und mit uns Landpomeranzen eine Spritztour zu den Schlössern von Versailles unternahm. Jeder Tag dieser Reise war aufregend und bot eine Fülle an Abenteuer, dem wir uns voll und ganz hingegeben haben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese Eskapaden hüteten wir stets als unser großes Geheimnis und der Schwindel flog auch nicht auf. Erst Jahre später, beichteten wir unseren Eltern von dieser inkognito Reise, ohne je dafür bestraft zu werden. Wir versetzten sie mit unseren Reiseerzählungen regelrecht ins Staunen und nie und nimmer hätten sie uns so ein Wagnis zugetraut.

Viele weitere Reisen folgten als junge Erwachsene aber keine war so aufregend wie diese erste. Und der Koffer? Kam bei der Rückkehr ins Kellerdepot und wurde nie mehr als Reisebegleiter verwendet. Zu schwer war sein Eigengewicht, zu mühsam das Schleppen.

Er darf bleiben, wo er ist und erinnert mich immer wieder daran, dass ich im fortschreitenden Alter nicht verlerne, Neues zu wagen und mich weiterhin mit Leichtigkeit durch das Leben tragen lasse.

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Mit kleinem Koffer dreimal um die Welt

Vor mir sitzt Walter Nogler, vermutlich der meistgereiste Südtiroler schlechthin. In seinen blitzblauen Augen spiegelt sich unser blauer Planet wider. Den hat er dreimal umrundet, hat 204 Länder und sieben Kontinente bereist.

Nogler_Tibet

Radtour von Lhasa Tibet nach Katmandu

Ein sportlicher Mann mit jugendlichem Aussehen, seine 78 Jahre sieht man ihm nicht an. Vermutlich lässt das Reisen langsamer altern. Auf meine Frage, was er bei seinen Reisen alles in seine Koffer packt, erwidert er, er reise prinzipiell mit kleinem Koffer. Er selbst benötige eigentlich sehr wenig. Man kann überall auf der Welt alles kaufen, es gibt überall Waschsalons und großes Gepäck belaste nur seinen Geist. Den schwersten Koffer hat er mit, wenn er zweimal im Jahr seine alte Heimat Südtirol besucht, schmunzelt er.

Nogler_Grönland

Hundeschlitten-Expedition in Grönland

67 europäische Länder und ihre Nebengebiete, alle sieben Natur- und Weltwunder der Antike, alle 50 Orte, „die man gesehen haben muss bevor man stirbt” hat der Globetrotter besucht.  Bei seinen internationalen Abenteuerreisen ist er durch die wildesten Gegenden gewandert und hat die herrliche Tierwelt und das Meeresleben auf allen sieben Kontinenten beobachtet. Seine größte Liebe gilt der Tierwelt.  Er ist den Berggorillas im Dschungel von Ruanda begegnet, ist auf den Fidschi-Inseln mit Buckelwalen geschwommen, war mit Kamelen in der Wüste unterwegs, hat mit Orcas in den norwegischen Fjorden getaucht und machte mit Schlittenhunden eine Tour durch Grönland.

Nogler_Kenia

Mit den Massai in Kenia

Der Wahlengländer stammt aus ärmlichen Verhältnissen, weiß bestens Bescheid, wie sich das anfühlt und reiste vielfach in die ärmsten Länder der Welt. Gerade sind seine Reiseerinnerungen in Buchform erschienen und sämtlicher Erlös aus dem Verkauf des Buches spendet er einer Wohltätigkeitsorganisation, die die vielen alleinstehenden Frauen und Kinder in Afrika unterstützt. Das Wichtigste sei, dass die Kinder etwas lernen können. Seine Reisen haben den erfolgreichen Geschäftsmann geprägt und er hat dadurch erkannt, worauf es im Leben wirklich ankommt.  Sein wertvollstes Mitbringsel von einer Reise war „das Paradoxon unserer Zeit von Dalai Lama“. Seit dem ist sein Leben nachhaltiger geworden. Dem Vegetarier, der keinen Alkohol trinkt, ist der Weltfriede wichtig. Er wünsche sich mehr Frauen in der Politik, die für mehr Weltfrieden sorgen könnten.

Nogler_Mexiko

Schwimmen mit Delfinen in Playa del Carmen – Mexiko

Nur wenige Reiseandenken hat er mitgenommen, darunter sein Lieblingstier, ein Elefant aus Amber aus Lithuania, und einen Buddha aus Burma, der ihm Glück schenkt. Sechsmal sind seine Koffer verloren gegangen, die er alle wiederbekommen hat. Buddha sein Dank!

Auf lange Flugreisen werde er in Zukunft verzichten, das sei jetzt trotzdem etwas zu anstrengend in seinem Alter. Aber ganz sesshaft werden kann er nicht, dafür ist er zu gerne unterwegs.

Das Interview mit dem Weltreisenden führte Ruth Engl – Vermittlerin Touriseum Meran

 

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Ein Selbstportrait

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von Evelyn Reso

Alles, was mitmuss, liegt auf dem Bett ausgebreitet: Hosen, T-Shirts, Pullover, Toilettenzeugs, eine dünne Jacke, eine dicke Jacke und eine wasserfeste – sollte es entgegen aller Wetterprognosen doch zu sintflutartigen Regenfällen kommen. Alles wird gut sortiert verstaut, damit man es nachher schnell wiederfindet in den Untiefen des Koffers. Socken und Tempos stopfen die verbliebenen Löcher. In letzter Sekunde landen weitere überlebenswichtige Utensilien im Koffer: weitere Tempopäckchen, ein Taschenmesser, ein Feuerzeug – ich rauche nicht, aber es könnte ja nützlich sein.

Fertig.

Jetzt noch das Adressschild kontrollieren und den farbigen Anhänger dranmachen, zur Sicherheit auch noch einen Gepäckgürtel drum herum geschnallt. Zwei-, dreimal öffnet sich noch der Reisverschluss und die letzten unverzichtbaren Kleinigkeiten verschwinden im Spalt – nur für alle Fälle, man kann ja nie wissen. Jetzt noch den Verschluss ins Schloss stecken und die Nummern verdrehen – so verwirrend wie möglich, für ganz schlaue Gepäckdiebe. Dann doch nochmal aufmachen, falls der Code nicht stimmt – besser, ich finde das jetzt heraus als hinterher. Wieder schließen. Nein, am besten doch gleich offenlassen, es könnte ja sein, dass der Zoll im Reiseföhn etwas Verdächtiges vermutet und das Schloss aufbricht, dann ist der Koffer hin. So, jetzt aber ab auf die Waage. Der Koffer wiegt genau 12,5 Kilogramm, das macht 2,5 Kilogramm Spielraum für Mitbringsel, perfekt.

Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich, als der Koffer über die Gepäckschiene fährt und hinter der freundlichen Flugbegleiterin durch die Luke verschwindet. Meine Hände sind leer, der Körper so leicht. Durch das kleine Fenster im Passagierraum beobachte ich den Gepäckzug, der gerade unter dem Flugzeugflügel hält. Ist mein Koffer dabei? Was, wenn nicht?

Nervöses Gedrängel am Gepäcktransportband. Koffer für Koffer wird vom Band gehievt und mitgenommen. Nach einigen Runden Leerlauf, hält das Gepäckband an. Das war’s, da kommt nichts mehr. Panik kriecht in mir hoch. Was mache ich jetzt nur? Mit einem Ruck läuft das Gepäckband wieder an. Ein Koffer purzelt durch die Luke, ein zweiter und dann endlich einer mit dem vertrauten Anhänger, dem Gürtel, mein Koffer, er kommt! Schnell fische ich ihn herunter und umklammere seinen Griff. So als wäre ich ohne ihn verloren. So als wäre ich mit ihm gerüstet für all das, was kommt. So als könnte mir mit meinem Koffer nichts geschehen.

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Mrs. E. Scarpa

von Ursula Scarpa

4103651So steht es auf der Plakette der braunen Reisetasche. In Wirklichkeit hieß die Ehefrau von meinem Großvater Olga Kranz Scarpa. Das E steht für Emil.

Frauen hatten in der Geschichte bezüglich ihrer Ebenbürtigkeit Männern gegenüber stets einen schweren Stand. Als verheiratete Frau reiste man zu Beginn des 20. Jahrhunderts stets unter dem gesamten Namen des Ehegatten.

Emil Scarpa entstammte einer venezianischen Familie, die 1866 für die k. u. k. Monarchie Österreich-Ungarn optierte und aus Venedig abwanderte und ihren Wohnsitz nach Triest verlegte.

Er wurde Direktor der Österreichischen Dampfschifffahrtsgesellschaft Lloyd in Triest.

Emil_ScarpaBis zum Ende der Habsburger Monarchie galt Triest als Hafen von Wien und war Sitz des 1833 gegründeten Österreichischen Lloyd, der damals größten Dampfschifffahrtsgesellschaft im Mittelmeer. Die Eröffnung des Suezkanals im Jahr 1869 ermöglichte der Lloyd die Inbetriebnahme der Linie Triest-Bombay.

Mein Großvater reiste für die damaligen Verhältnisse bis ans andere Ende der Welt und hat in Bombay 18 Jahre lang für die Gesellschaft gearbeitet.

Als er ins heiratsfähige Alter kam, wollte er weder eine Inderin noch eine Engländerin zur Frau. Deshalb reiste er nach Graz zur Brautschau und nahm Olga Kranz zur Ehefrau. Sie entstammte einer wohlhabenden Familie aus Andritz bei Graz, die mehrere Kartonfabriken besaßen.

Sie sind dann als Ehepaar zurück nach Bombay, aber nicht für lange Zeit, denn die Ehefrau Olga vertrug das Klima in Bombay nicht besonders.

Im mondänen Meran fanden sie 1908 ein neues Zuhause. Sie haben so lange in Meran gelebt, bis Herr Scarpa schwer erkrankte und deshalb zur Behandlung nach Wien zog und dort auch verstarb. Er ist auch dort begraben.

Nun muss die weitgereiste Ledertasche nicht mehr auf meinem Dachboden ihr Dasein fristen und erfährt im Touriseum jede Menge Bewunderung und Aufmerksamkeit.

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Nur ein Gepäckstück

von Klara Rosemann

Im Laufe meines langen Lebens bin ich oft verreist und habe viele Koffer gepackt.

Doch die stärksten Erinnerungen habe ich an jene Reise im August 1940, die mich mit meiner Familie von Bozen nach Österreich führte. Das geschah im Rahmen der Umsiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung aus Südtirol ins Deutsche Reich.

Familie_Rosemann1Meine Eltern waren damals 46 und 36 Jahre alt, mit drei Kindern im Alter von 9, 8 und 7 Jahren. Ich war die Jüngste in der Familie. So standen wir zu fünft am Bahnsteig in Bozen und warteten auf einen Zug, der uns in ein fremdes Land und in eine ungewisse Zukunft bringen sollte. Bei einem kurzen Aufenthalt in Brixen konnten wir uns noch von unseren Großeltern verabschieden, dann ging es weiter nach Innsbruck.

Da jeder Person nur ein Gepäckstück erlaubt war und die Koffer von uns Kindern entsprechend klein waren, reisten wir mit geringem Gepäck.

Für uns Kinder war die Reise ein großes Abenteuer. Frisch eingekleidet und neugierig auf alles Neue genossen wir die Fahrt. Mit wie vielen Zweifeln und Ängsten dagegen unsere Eltern diese Reise antraten, wurde uns erst viel später bewusst.

Unsere Reise war gut organisiert. In Innsbruck wurden wir bereits erwartet und unsere Eltern mussten entscheiden, wo wir zukünftig leben wollten. Unsere Großmutter hatte uns oft von der schönen Gegend am Bodensee erzählt. So fiel uns die Entscheidung nicht schwer, wir fuhren weiter nach Bregenz.

Familie_Rosemann2Nach kurzer Zeit wurde uns eine geräumige Wohnung mit Bad und Toilette zugewiesen, was damals einen ungewöhnlichen Luxus darstellte. Natürlich wurde das von Teilen der einheimischen Bevölkerung mit einem gewissen Misstrauen beobachtet, und so blieben «wir Südtiroler» anfangs in den eigens für uns erbauten Siedlungen unter uns.

Unser Vater fand trotz seines Alters schnell Arbeit und wir Kinder besuchten die Volksschule. Da wir aber in Südtirol nur in italienischer Sprache unterrichtet worden waren und zudem einen fremden Dialekt sprachen, dauerte es eine gewisse Zeit, bis wir uns eingelebt hatten.

Seither ist sehr viel Zeit vergangen. Wir Kinder haben hier eine Heimat gefunden und Wurzeln geschlagen.

Aber manchmal packen wir einen kleinen Urlaubskoffer und reisen für ein paar Tage zurück über den Brenner. Und erinnern uns an jene Reise im Jahre 1940, die unser Leben so grundlegend verändert hat.

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Ich bin kein Koffermensch, ich bin ein Rucksackmensch

von Anni Pixner Pertoll

„Wenn du vom Militärdienst frei gehst, dann machen wir zusammen eine Reise.“ Das sagte ich scherzhaft zu meinem, damals 19 Jahre alten Sohn, Much.
Etwa drei Monate später schwenkte er freudig den „Concedo“ und fragte: „Wohin geht die Reise?“

Wir entschieden uns für Island. Für ihn selbstverständlich mit Rucksack und Zelt. Ich dachte mir: “Na ja, wenn er mir das zutraut, warum nicht?“

Pixner_Pertoll_RucksackAlso erklärte mir Much, welche Beschaffenheit ein Rucksack haben muss und wie man den richtig trägt. Das war wichtig, denn in unsere Rucksäcke musste viel hinein.
Für unsere mehrwöchige Maiwanderung im hohen Norden kam einiges zusammen: Zelt, dicke Daunenschlafsäcke, Isomatten, Kochgeschirr, Gaskocher, Fertiggerichte und natürlich warme Kleidung. Der Wanderführer und das Tagebuch durften genauso wenig fehlen wie die Stirnlampe.

Wenn wir am Ende des Tages unsere Rucksäcke auspackten und das Nachtlager aufschlugen, besetzten wir mehrere Quadratmeter Fläche. Immer wieder war ich erstaunt, was wir alles mitschleppten, wieviel Platz in so einem Rucksack ist. Und zu meiner Überraschung gelang es jeden Morgen, alles wieder zu verstauen, was wir am Abend vorher ausgepackt hatten.

Drei Wochen waren wir unterwegs. Der Rucksack war zwar schwer, aber wir wurden von der mystischen Natur Islands und der dortigen Ruhe reich beschenkt. Es fehlte uns an nichts und es wurde eine meiner schönsten Reisen. Von da an war ich fast nur noch mit dem Rucksack unterwegs.

Mit meiner Rucksackbegeisterung steckte ich auch meinen Mann an. Fortan unternahmen wir zahlreiche Touren, manchmal mit und manchmal ohne Zelt.

Pixner_Pertoll_Rucksack_2Eine besondere Rucksackreise war der Jakobsweg nach Santiago de Compostela mit meiner Schwerster Rosi.

Diesen 800 km langen Pilgerweg wollte ich mit besonders leichtem Gepäck begehen.

Daher fing ich schon drei Wochen vor dem Start mit dem Rucksackpacken an.
Zuerst legte ich Dinge bereit, von denen ich annahm, ich würde sie unbedingt brauchen.
Die Folge: Der Rucksack war zu schwer.
Immer wieder reduzierte ich, jedes Mal mit dem Ergebnis: Noch zu schwer!
Ich begann, leichtere Kleidungsstücke auszuwählen.
So wiegt ein Kaschmirpullover um einiges weniger als ein Wollpullover.
Dann begutachtete ich die Toilettenutensilien und drückte die Tube der Zahnpaste bis auf ein Drittel aus, viertelte die Kernseife, tauschte die Sonnencreme mit einer Miniausgabe aus und ersetzte das dicke Handtuch mit einem kleinen aus Mikrofaser.
Nun passte es.
Mein Rucksack wog 7 kg. Das ideale Gewicht für meine Größe.

Auf dem gesamten Weg vermisste ich nichts. Ich hatte alles dabei, was ich brauchte.

Mein Rücken gewöhnte sich mit der Zeit so an den Rucksack, dass ich mir ohne fast nackt vorkam.

Pixner_Pertoll_Rucksack_3Unterwegs begegneten wir immer wieder Pilgern, die schwer zu schleppen hatten.
Nur ein 90jähriger, der von Paris nach Santiago pilgerte, war mit noch weniger Gepäck unterwegs. Er hatte kaum Wechselkleider, keinen Fotoapparat, kein Tagebuch und anstelle des Schlafsackes nur einen Hüttenschlafsack. So geht es auch.

Auf dem langen Weg lernten wir einige liebe Leute kennen. Man ging ein Stück zusammen, machte zusammen Rast, teilte den Proviant, kochte gemeinsam und tauschte Erfahrungen aus.

Meine Schwester und ich, wir waren immer langsam unterwegs, nach den Moto: „chi va piano va lontano.“ Unsere inzwischen liebgewordenen Pilgerfreunde legten den Weg nach ihrem Tempo zurück. Wenn sie aber an einer Raststätte Halt machten, stellten sie ihre  Rucksäcke, die wir inzwischen kannten, vor die Tür, um uns ihre Anwesenheit kundzutun.
Die Freude der Wiederbegegnung war immer groß.

Somit waren unsere Rucksäcke längst mehr als nur ein notwendiges Gepäckstück. Und so verspüre ich immer dann, wenn ich Menschen mit Rucksäcken begegne, eine Sehnsucht in mir, möchte sofort aufbrechen, irgendwohin, um offen zu sein, die Welt ein bisschen besser kennenzulernen. Und somit auch mich.

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Der Begleiter

von Helga Stockreiter

 

StockreiterStolz und glücklich hält deine Mutter dich im Arm,

ihr Töchterchen ist geboren!

Deine Eltern bringen dich nach Hause,

ich darf dich begleiten.

 

Jahre vergehen,

du fährst mit deinen Eltern ans Meer,

du fährst mit deinen Eltern in die Berge,

ich darf dich begleiten.

 

Jahre vergehen,

stolz zeigst du dein Maturazeugnis.

Du wirst studieren, in einer anderen Stadt,

ich darf dich begleiten.

 

Jahre vergehen,

vor deinem Namen steht jetzt ein „Dr.“,

an deiner Seite steht ein junger Mann.

Du folgst ihm in die grünen Wälder von Michigan,

ich darf dich begleiten.

 

Jahre vergehen,

du bist wieder allein.

Du kommst zurück in deine Heimat,

ich darf dich begleiten.

 

Jahre vergehen,

an deinem Bett steht ein Arzt.

Sanitäter bringen dich fort,Koffer_Stockreiter

ich darf dich nicht begleiten.

 

Dein Sohn lässt die Wohnung ausräumen.

Ich stehe in einem leeren Zimmer,

ich höre eine Stimme:

„schau, dort ist noch ein Koffer!“

 

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Koffer der Erinnerung

Koffer_der_Erinnerung

von Claudia Rieflin

Mein Koffer ist klein. Er misst nur 31/21/12 cm. Er stammt aus Australien und diente in den 60er Jahren als Schultornister meiner großen Schwester. Meine Eltern wanderten 1959 dorthin aus. Haben schlichtweg das deutsche Wirtschaftswunder verpasst, um Down Under ihr Glück zu finden. Sie waren Migranten, Ausländer, die, die den Krieg angefangen haben. Das erste halbe Jahr lebten sie aus Koffern. Frauen und Kinder von den Männern streng getrennt – in Wellblechbaracken des Auswandererlagers. Sie lernten die Sprache, die Verfassung, die Geschichte und den Humor des neuen Landes. Sie integrierten sich, sie arbeiteten fleißig, schlossen Freundschaften und hatten im Winter Heimweh nach Schnee und „Stille Nacht“.

Ich kam 1964 zur Welt. Eine kleine Australierin, geboren im Queen Elisabeth Hospital, als jüngste von drei Schwestern. Meine Pateneltern waren unsere italienischen Nachbarn. Bis heute hüte ich das goldene Medaillon der heiligen Madonna, das ich zu meiner Taufe von ihnen erhielt. Sie liebten es, meinen Vater und die deutsche Sprache zu parodieren: „Schnell, schnell! Aber zackig!“

Mein Vater versicherte mir bis zu seinem Tod glaubhaft, dass er nicht enttäuscht war, dass ich kein Bub geworden bin. Bei meiner Mutter bin ich mir da nicht so sicher.

Meine Schwestern gingen in den Kindergarten und zur Schule. Jeden Morgen wurden die kleinen Papptornister gepackt und sie stiegen in den gelben Schulbus. Zwei deutsche Mädels, die nicht wussten, was deutsch, australisch, italienisch, schottisch, jüdisch, christlich, schwarz oder weiß ist. Jeder kam irgendwo her, ging irgendwo hin und fühlte sich trotzdem verbunden.

Rieflin_Genua

Auf der Überfahrt zurück nach Genua auf der „Galileo Galilei“ 1965. Mein Vater hält mich im Arm, meine zwei Schwestern stehen davor und schauen aufgeregt aufs Meer, meine Mutter ist ganz rechts noch zu erkennen.

Ich habe keine Kindheitserinnerungen an mein Geburtsland. Die Erinnerungen existieren nur in Form von Jahr zu Jahr mehr verblassenden Schwarzweiß-Fotos. Aufnahmen, die sorgfältig arrangiert und überlegt sein wollten, da der Film und die Entwicklung teuer waren. Ein Foto bedeutete ein Ereignis – und zwar ein unwiederbringliches. Taufe, Kommunion, Geburtstag, Feiertage und Glücksmomente. Auf einigen erkenne ich den kleinen taubengrauen Koffer mit den weinroten Beschlägen und dem knallroten Kunststoffgriff: In der braungebrannten Hand meiner Schwester, auf dem Boden stehend neben meinem Kinderwagen, vor dem obligatorischen Gummibaum im Wohnzimmer, auf der 6-wöchigen Schiffspassage zurück nach Europa – umklammert von meiner unglücklichen Schwester, die nicht zurück wollte ins kalte Deutschland.

Ich habe mir den kleinen Tornister gesichert. Meiner großen Schwester weggeschnappt. Ich bewahre darin meine Momente auf. Fotos von Haustieren. Vom Tanzstundenabschlussball. Der erste Freund. Schulabschluss. Der erste Interrail-Urlaub nach Griechenland. Saint Tropez im verrosteten Alfa Bertone. Die ersten eigenen Vier Wände. Meine Reise nach Australien in den 90ern. Kängurus, Koalas, Wombats, der Hafen von Sydney, das Great Barrier Reef, die Weinberge von Barossa Valley, meine italienischen Pateneltern „Schnell, schnell! Aber zackig!“

Vor allem die Urlaube in Italien. Toskana, Cilento, Rom, Florenz, Mailand, Venedig, Sizilien Sardinien und immer wieder Meran, Meran, Meran. Mein Sehnsuchtsort. Der Ort, der in schweren Zeiten das Herz leichter werden lässt. Diese verlässlichen Bilder, die vor dem geistigen Auge entstehen, die Freunde, die man gefunden hat und im Herzen bewahrt. In Zeiten von unzähligen, flüchtigen Smartphoneaufnahmen, hüte ich meinen Koffer der Erinnerung. Ich mache Abzüge von unwiederbringlichen Augenblicken und weiß, dass mich dieser Koffer bis ans Ende meiner Tage begleiten wird.

Ach, Meran, bitte hüte du deine Schönheit, wie ich meinen Koffer der Erinnerung.

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